Der neue deutsche Weg hat abgewirtschaftet
Als neuen deutschen Weg bezeichne ich hier den „Raubtierkapitalismus“, der die soziale Marktwirtschaft verdrängt. Das bedeutet die einseitige Aufkündigung eines Gesellschaftsvertrags, mit dem Deutschland bislang gut gefahren ist: Durch entsprechende Steuern und Abgaben wurden die „breiten Schultern“ in die Pflicht genommen, die „schmalen“ zu stützen. Im Gegenzug konnten sich die Unternehmen der Motivation und Loyalität ihrer Mitarbeiter sicher sein. Nun, nach dem Wegbruch einer gesellschaftlichen Alternative und dem Entstehen neuer (Arbeits-) Märkte, zeigt sich die Marktwirtschaft teilweise entfesselt, es gilt der Shareholder Value und diejenigen, die Werte schaffen, sind schlicht „Humankapital“. Diese einseitige Aufkündigung (trotz unzähliger und prominenter Warnungen) bedeutet für die Kapitaleigner kurzfristig höhere Renditen, aber gleichzeitig auch den Verlust von Motivation und Loyalität ihrer ausgebeuteten Wertschaffenden. Die größere Zahl an Streiks zeigt genau das. Unter normalen Bedingungen einer wirklich selbstverantwortlich organisierten Gesellschaft dürfte die Rechnung mittelfristig also keinesfalls aufgehen, zumal das Steuersystem die Umverteilung von unten nach oben noch verstärkt.
Die Rechnung kann dann allerdings aufgehen, wenn man geeignete rechtliche (und tatsächlich auch gesellschaftliche) Rahmenbedingungen für die Arbeitnehmer setzt, die eine Ablehnung der „Arbeitsangebote“ praktisch unmöglich machen. Ein ganzes Paket von Rahmenbedingungen um den eingeschlagenen Weg des „Raubtierkapitalismus“ zu festigen, wird heute fünf Jahre alt und hört auf den Namen Agenda 2010 oder „Absturz der SPD“. Korrekt ist, dass die Agenda nicht nur Maßnahmen enthält, die die Aufkündigung des Gesellschaftsvertrages stützen („Hartz IV“), sondern auch einiges mehr, wie Peter Struck in der FR erklärt. Dieses „mehr“ sieht bei genauerer Betrachtung allerdings nicht nach einer Verbesserung, sondern einer typisch „modernen Reform“ aus. Auch scheinen dort einige Placebos platziert zu sein. Im gleichen Artikel kommt auch der „Wirtschaftsweise“ Peter Bofinger zu Wort, der genau darauf eingeht. Den „Erfolg“ (je nach Blickrichtung) dieser zusätzlichen staatlichen Rahmenbedingungen fasst Ottmar Schreiner zusammen: Ohne die „Agenda 2010“ hätte Deutschland heute weniger „Lohnarmut“ und weniger Kinderarmut.
Doch trotz flankierender staatlicher Rahmenbedingungen glaube ich, dass dieser neue Weg abgewirtschaftet hat. Die Streiks oder Proteste gesellschaftlicher Gruppierungen und die Antworten sowohl von gesellschaftlicher als auch staatlicher bzw. wirtschaftlicher Seite zeigen, dass diese Widerstände wunde Stellen treffen, weshalb die Antworten auch immer martialischer ausfallen. Unklar ist, wer am Ende die Oberhand gewinnen wird, aber die gesellschaftlichen Folgen werden definitiv gravierend sein.