Roberts Kolumne

Roberts Kolumne ist eine Kolumne im klassischen Sinne, mit der Möglichkeit, „Leserbriefe“ zu hinterlassen: Definitiv subjektiv, sanft satirisch und gerne auch mal populistisch.

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Ein uneindeutiges Urteil

Eingestellt am 27. Februar 2008 um 19:13 Uhr » Netz-Notizen Sicherheit Kommentar Wer braucht so etwas? Gesellschaft Medien und Informationen

Das Bundesverfassungsgericht (BVG) hat der Online-Durchsuchung gemäß des Nordrhein-Westfälischen Verfassungsschutzgesetztes eine Absage erteilt, ein neues Grundrecht auf »Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität« informationstechnischer Systeme geschaffen, den „Bundestrojaner“ an sich allerdings nicht verboten (Hervorhebungen von mir):

2. Die heimliche Infiltration eines informationstechnischen Systems, mittels derer die Nutzung des Systems überwacht und seine Speichermedien ausgelesen werden können, ist verfassungsrechtlich nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte einer konkreten Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut bestehen. Überragend wichtig sind Leib, Leben und Freiheit der Person oder solche Güter der Allgemeinheit, deren Bedrohung die Grundlagen oder den Bestand des Staates oder die Grundlagen der Existenz der Menschen berührt. Die Maßnahme kann schon dann gerechtfertigt sein, wenn sich noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststellen lässt, dass die Gefahr in näherer Zukunft eintritt, sofern bestimmte Tatsachen auf eine im Einzelfall durch bestimmte Personen drohende Gefahr für das überragend wichtige Rechtsgut hinweisen.
3. Die heimliche Infiltration eines informationstechnischen Systems ist grundsätzlich unter den Vorbehalt richterlicher Anordnung zu stellen. Das Gesetz, das zu einem solchen Eingriff ermächtigt, muss Vorkehrungen enthalten, um den Kernbereich privater Lebensgestaltung zu schützen.
4. Soweit eine Ermächtigung sich auf eine staatliche Maßnahme beschränkt, durch welche die Inhalte und Umstände der laufenden Telekommunikation im Rechnernetz erhoben oder darauf bezogene Daten ausgewertet werden, ist der Eingriff an Art. 10 Abs. 1 GG zu messen.

Auch wenn die Hürden für eine tatsächliche Online-Durchsuchung damit recht hoch gehängt worden sein dürfte, ist sie praktisch nicht verboten. Und leider erinnert die Definition der für einen Bundestrojaner-Einsatz maßgeblichen Gründe ein bisschen nach Schäubles Sonntagsreden, wenn er ein wenig moderat drauf ist („nur wenige Online-Durchsuchungen“). Auch den Richtervorbehalt und den Schutz des Kernbereichs privater Lebensführung sehe ich angesichts der Praxis realer Durchsuchungen als skeptisch an. Da kann mich auch Fefes Beschwichtigung nicht so ganz beruhigen:

Ich habe mir gerade von einem Verfassungsrechtler erklären lassen, dass das doch stärker formuliert ist, als ich das verstanden habe.

F!XMBR schlägt allerdings in die gleiche Kerbe und lässt von der Wortwahl her keine Zweifel, dass Urteil als verfassungsmäßig abgewogen verstanden zu haben. Angesichts des massiven Grundrechtsverstoßes der Bundesanwaltschaft im Zusammenhang mit Kritik am G8-Gipfel letztes Jahr in Heiligendamm oder der Kriminalisierung basisdemokratisch ausgerichteter außerparlamentarischer Opposition bleiben bei mir trotzdem Zweifel ob der Auslegung des Urteils durch unsere Sicherheitspolitiker:

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble freut sich, dass die höchsten deutschen Richter "die grundsätzliche verfassungsrechtliche Zulässigkeit" heimlicher Online-Durchsuchungen als Ermittlungsmaßnahme anerkannt haben.

Das beflügelt natürlich auch die Bayern, bei denen demnächst die Online-Durchsuchung „in wenigen Fällen“ erlaubt sein soll. Und genau beim Stichwort Bayern in Kombination mit Durchsuchung schrillen bei mir die Alarmglocken; der genannte Fall verdeutlicht noch einmal das mögliche Missbrauchspotenzial. Entlarvend finde ich in dem Zusammenhang folgende von heise übermittelte Aussage der bayrischen Justizministerin (Hervorhebungen von mir):

Justizministerin Beate Merk (CSU) betonte, Karlsruhe habe den Ermittlern die Möglichkeit gegeben, mit den technischen Entwicklungen Schritt zu halten und auf diese Weise mit Tätern, die die neuen Technologien nutzen, auf Augenhöhe zu bleiben. Das Urteil eröffne zudem "die Möglichkeit der Online-Durchsuchung im strafrechtlichen Bereich", sagte Merk.

Sie scheint sich damit auf die konkrete Gefährdung von Leib und Leben zu beziehen, alles andere klingt für mich nach Staats- oder Verfassungsschutzdelikten. Aber zurück zum Missbrauchspotenzial, und hier wundert mich die optimistische Einschätzung des Chaos Computer Clubs: Der Bundestrojaner wurde […] regelrecht notgeschlachtet. Das mag zwar rechtlich korrekt sein, aber das technische Missbrauchspotenzial eines „Bundestrojaners“ besteht weiterhin, weshalb diese Software mehr als kritisch ist. Aber vielleicht urteilt dann das BVG, das mit dem neuen Grundrecht Sachverstand gezeigt hat, dass eine „Remote Forensic Software“ keine verwertbaren Beweise beschafft. Die Interpretation von telepolis ließe darauf schließen.

In den Leitsätzen zum Urteil spricht das BVG meiner Ansicht nach allerdings noch einmal auch die Eigenverantwortung des Bürgers an, denn:

5. Verschafft der Staat sich Kenntnis von Inhalten der Internetkommunikation auf dem dafür technisch vorgesehenen Weg, so liegt darin nur dann ein Eingriff in Art. 10 Abs. 1 GG, wenn die staatliche Stelle nicht durch Kommunikationsbeteiligte zur Kenntnisnahme autorisiert ist.
Nimmt der Staat im Internet öffentlich zugängliche Kommunikationsinhalte wahr oder beteiligt er sich an öffentlich zugänglichen Kommunikationsvorgängen, greift er grundsätzlich nicht in Grundrechte ein.

Der Staat darf also sehr wohl in öffentlichen Foren mitlesen. Ob damit nun unverschlüsselte Chats oder Emails mitgelesen dürfen, glaube ich allerdings nicht, auch wenn die Kommunikation darüber technisch schon fast „öffentlich“ ist. Spannend bleibt es auf jeden Fall: Wird es eine verfassungskonforme Umsetzung der Online-Durchsuchung geben und wie urteilen die „Verfassungsschützer aus Karlsruhe“, die BVG-Richter, über die Vorratsdatenspeicherung?


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