Gefühlte (Un-) Sicherheit
Mehr und umfassendere Kontrollen, (Video-) Überwachung aller Orten und der Verzicht auf freiheitliche Prinzipien sowie Intimität sollen helfen, Terroristen zu überführen und Anschläge zu vereiteln. Obwohl gerade letzteres vor kurzem erfolgreich war und keine Videoüberwachung die Attentäter in der Londoner U-Bahn vor einem Jahr zurückhalten konnte, meint man in den Innenministerien, den Datenhunger vergrößern und seine Bürger aus Glas gießen zu müssen – staatlich verordneter Exhibitionismus. Doch nicht nur, dass man so die freiheitlich demokratischen Werte, für die man steht, die man weltweit vertritt, zu Hause verfallen lässt, es ist auch zu bezweifeln, ob mehr Kontrollen, Überwachung und Verzicht auf Intimität tatsächlich dem Terror vorbeugen:
So sei eine der Wunderwaffen im „Kampf gegen den Terror“ die automatische Erkennung von (verdächtigen) Personen und Gegenständen, genannt automatische Fahndungssysteme. Die Bilderkennung […] soll automatisch herrenlose Gespäckstücke und unschlüssige Selbstmörder an deren Bewegungsmuster erkennen können
, wie heise in Berufung auf Sicherheitskreise berichtet. Wenn also jemand demnächst in der Bahnhofshandlung kurz einkauft und sein Rad draußen stehen lässt, fehlt es nach der Rückkehr nicht, weil es geklaut wurde, sondern gerade „entschärft“ wird. Und jeder verlorene Gegenstand kann prinzipiell zu einer Evakuierung führen. Selbst Exzesse, wie kürzlich in einem Ferienflieger sind denkbar: Menschen werden allein auf Grund ihrer Ethnie zu terrorverdächtigen. Mich wundert es nicht, wenn diese Art des Rassismus ein Grund für die Radikalisierung der verdächtigen ist. Ich frage mich allerdings immer noch, woran ein Fahndungssystem einen „unschlüssigen Selbstmörder“ von einem desorientierten Touristen unterscheiden will.
Terrorexperten bezweifeln indessen, dass sich die terroristische Bedrohung mit einer Ausweitung der Datensätze bekämpfen lässt.
Hintergrund ist nicht nur, dass die Attentäter in letzter Zeit bis zum Anschlag relativ unauffällig unter uns gelebt haben, sondern auch, dass Kontrollen immer gewisse Lücken aufweisen. Bruce Schneier z.B. hält die verschärften Sicherheitsmaßnahmen auf Flughäfen für gefährlichen Selbstbetrug; da es schon nicht gelinge, Waffen aus Gefängnissen fernzuhalten, stellt er in Frage, dass dies auch an Bord von Flugzeugen gelinge. Wie er in einem Versuch herausfand, ist es es enorm einfach, gute Terrorplots zu erfinden […] Aus diesem Grund kann funktionierende Sicherheit sich nicht nur auf solche Plots konzentrieren. Weil es für Terroristen so einfach ist, sich Alternativen auszudenken.
1 Robert (Admin) aus Baunatal/Deutschland schrieb am 21.08.2006:
Ich hätte den verlinkten Technology Review-Artikel "Die Terroristen gewinnen in jedem Fall" vielleicht vorher auch noch lesen sollen, da geht es ja richtig zur Sache:
Sicherheitsexperten, und Schneier ist da einer der besten, können manchmal ganz schön entwaffnet und ehrlich (gemein) sein.
2 Robert (Admin) aus Baunatal/Deutschland schrieb am 21.08.2006:
Telepolis bietet ein informatives Glossar zu diesem Thema an: Nach Kofferbombenfunden - mehr Videoüberwachung gegen den Terror? Ein Glossar zu einem viel diskutierten Thema. In der FR könnte man das so schon auf den „Seziertisch“ legen, immerhin werden einige Modewörter der Innenminister schön auseinandergenommen.